37. Ave Eva oder der Fall Maria

Unsere erste Begegnung mit „Ave Eva“ fand irgendwann in der zweiten Jahreshälfte 1974 in der Thomaskirche in Düsseldorf statt. Fast der ganze Jugendchor samt Combo hatte sich auf den Weg gemacht. Schon seit der Uraufführung in Telgte (1974) gab es immer wieder ein Raunen in der Gruppe, ob das nicht vielleicht ein Stück für uns sein könnte. Unsere Begeisterung für die Musik von Peter Janssens war seit der „Traummesse“ von 1972 ungebrochen. Und dann erlebten wir ein Stück, das uns für zwei Stunden in seinen Bann zog. Es war wieder so etwas wie eine Verlockung zum Aufbruch. Die Texte von Wilhelm Willms hatten nun wirklich nichts mehr von dem verstaubten Mief so mancher alter Kirchenlieder. Sie trafen – mit intensiven Bildern und hoher Dichte – mitten in unsere Lebenswelt. Und die Musik von Piet Janssens, die wir ja schon ein bisschen kannten, war voller neuer melodischer und rhythmischer Einfälle. Zwischendurch meinte er einmal, bei solchen Texten mache das Komponieren richtig Spaß. Und Rosen wurden verteilt, nachdem Maria „sich verduftet hatte“ (in ihrem Sterben) – und Brot und Wein als Zeichen der Hoffnung auf die Auferstehung und das endgültige große Fest. Die Atmosphäre in der Kirche war heiter und gelöst und es war gar nicht peinlich, als Piet zu Beginn einer neuen Station Wilhelm Willms an seinen Text erinnern musste: „Willem, Du bist dran!“ – Auf dem Rückweg nach Hochdahl waren wir ganz erfüllt von dem Erlebnis. Ich glaube, wir hatten „tief eingeatmet“, wie es der Speisemeister in der letzten Station empfiehlt – Hoffnung und Seinen Geist.

 

Und dann machten wir uns an die Arbeit. Und die Begeisterung hielt an, wenn auch immer wieder durchbrochen von der Unsicherheit und der Frage, ob wir uns mit diesem Vorhaben nicht überforderten. Die Skepsis ist verständlich, war es doch das erste größere, zusammenhängende Stück, das wir in Angriff nahmen. Bisher hatten wir nur einzelne Lieder im Gottesdienst gesungen.  

 

Am 8.Juni 1975 haben wir „Ave Eva“ zum ersten Mal in Heilig Geist gesungen. In der Vorankündigung in der „neuen stadt“ wird etwas davon deutlich, dass uns der Inhalt dieses „Sacro-Pop-Musicals“ unter die Haut gegangen war. „Plötzlich wird diese Maria direkt sympathisch; sie überspringt die 2000 Jahre, die zwischen ihr und uns liegen; sie wird eine von uns. Dadurch verliert sie nichts von ihrer Größe. Im Gegenteil, man fängt (vielleicht zum ersten Mal – vielleicht wieder neu) an zu ahnen, was dieser „Einfall von oben“, dieses Kommen des Geistes in ihrem Leben bedeutet hat, und in unserem Leben bedeuten könnte.“

In den Aspekten von Dezember 1975 steht ein Bericht über die Aufführung, in dem eine junge Frau aus dem Chor etwas mehr vom Inhalt andeutet. „Ein Stück, das handelt von einem Mädchen, das unehelich schwanger wird, dem Gerede der Leute ausgesetzt ist, sich durch diese Schwangerschaft unmöglich macht. Ein Mädchen heute – ein Mädchen damals, der gleiche Fall – der Fall Maria. Das Mädchen bringt das Kind, gezeugt vom Hl.Geist, gezeugt aus einer übergroßen Liebe, zur Welt. Das Kind hängt an der Nabelschnur, am Seidenfaden, am Kreuz, in der Luft – auch heute noch. Dann der tote, der lebendige Jesus, den die Kirche, den wir verpasst haben. Schließlich Mariens Tod, die Totenerweckung, die Hochzeit zu Kana – die Krüge des Lebens sind leer. Jesus lässt die Krüge füllen. Der Duft – der Geist Gottes liegt in der Luft. Am Schluss werden Brot und Wein verteilt – als Geste der Gemeinschaft und des gemeinsamen Feierns.“

 

Wir haben es natürlich als Ehre empfunden, dass Wilhelm Willms schon bei dieser ersten Aufführung mit von der Partie war und die Zwischentexte las. Und achtzehn begeisterte junge Leute sangen und spielten so, dass der Funke schnell übersprang und die Gemeinde in die Fragen und Interpretationen des Stückes hineingezogen wurde. Für den nötigen „Drive“ sorgte eine taktsichere und rhythmusfreudige Combo mit Flöte, Gitarre, Bass, Klavier und Schlagzeug. Glück hatten wir mit der Technik. Eine solche Aufführung verlangt einigen Aufwand, damit die Botschaft auch rein akustisch beim Hörer gut ankommt. Nun hatte der Bürgerverein gerade eine leistungsfähige Verstärkeranlage erworben und sie für die Nutzung in der neuen Stadt in die Obhut von Dirk Thomé gegeben. Die stand uns für die Aufführung zur Verfügung. Daraus entwickelte sich eine langjährige, freundschaftliche Zusammenarbeit. – Wie die Gemeinde das Stück aufgenommen hat, kann man daraus schließen, dass zwei weitere Termine für den Oktober festgesetzt wurden.

 

Die Aufführung von „Ave Eva“ am 8.Juni 1975 war der Beginn einer langen Geschichte mit diesem Stück. Bis Mitte 1977 haben wir „Ave Eva“ zwölf Mal gesungen unter teils wunderbaren, teils verletzenden Begleiterscheinungen. Und für die, die in Chor und Combo dabei waren, war das natürlich der wichtigste Zugang zu Wilhelm Willms und seinen Texten. – Die Gemeinde begegnete ihnen vor allem im Gottesdienst. Das war für Wilhelm Willms offensichtlich auch der ursprüngliche Ort, für den er seine Texte verfasste. Immer wieder stellte er sich der Aufgabe, die überlieferte Botschaft neu zu verstehen und in neuen Bildern zu deuten. Für uns in Hochdahl und für viele andere Gemeinden waren seine Schriften ein

Zeichen der Hoffnung.  Es war also doch möglich, die alten Wahrheiten in einer Sprache zu erzählen, die uns zu Herzen ging. Verkündigung, die lebendig war und lebendig machte! Für die Hochdahler Gemeinde wurden die Texte von Willms in diesen Jahren zu einem prägenden Element im Leben und in der Verkündigung. Leider hat die „offizielle Kirche“ wegen ihrer Probleme mit „Ave Eva“ und der massiven Meinungsmache der Gegner eine Chance verpasst, die der Verkündigung hätte zu Gute kommen können.

 

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