7. Ökumene

Was könnte heutzutage eine evangelische und eine katholische Gemeinde in einem Vorort von Düsseldorf dazu bewegen, ihren Glauben gemeinsam zu leben? Alle religiösen Funktionen sind hier und da vorhanden und stabilisiert. Wenn es um die gegenseitige Teilnahme am Abendmahl geht, wissen sofort alle, dass dazu die Unterschiede noch viel zu groß sind und dass man der Wiedervereinigung nicht vorgreifen darf. Und von außen gibt es keinen Druck, etwas für den gemeinsamen Weg zu tun. Alles Ökumenische bewegt sich deshalb in Randbereichen und in Aktionen, die nur von der heilsamen inneren Unruhe einiger Christen hier oder da geprägt sind. Ökumenische Gottesdienste – die muss man ja wohl machen, aber bitte nicht zur Zeit des Sonntagsgottesdienstes. Gemeinsame soziale Aktivitäten – die können ja nicht schaden, obwohl man sie auch allein schaffen würde. Gemeinsame Kindergartenfeste kann man ja feiern – mal auf dem Grundstück der einen, mal der andern Einrichtung. Als Zeichen des guten Willens sind sicher auch solche Bemühungen nicht wertlos. Und die katholische Kirche hierzulande dürfte im Zeichen von Priestermangel und Fusionsrausch im Augenblick auch nicht die Kraft haben, nach dem großen Ziel wirklicher ökumenischer Gemeinschaft zu suchen und sich dafür einzusetzen.

 

Es war ein begrenztes Ziel, das wir in Hochdahl seit 1968 in ökumenischer Zusammenarbeit erreichen mussten. Wir brauchten nicht die Wiedervereinigung herbeizuführen. Wir mussten nur dafür sorgen, dass im Endausbau der neuen Stadt auch die kirchlichen Strukturen und Einrichtungen vorhanden sein würden, die die beiden Gemeinden brauchten. Der Weg dahin war nicht von vorneherein klar. Wir haben unzählige Male zusammengesessen, haben überlegt, diskutiert, geplant und wieder verworfen. Und damit waren wir jahrelang beschäftigt. Dass wir uns dabei kennen und schätzen gelernt haben, das hat die Mühe mehr als aufgewogen. Ein kleines Erlebnis aus späterer Zeit habe ich oft zitiert, um die gute Atmosphäre zu verdeutlichen, die allmählich zwischen den Seelsorgern der beiden Gemeinden entstand. Wir saßen zusammen, um eine ökumenische Bibelwoche vorzubereiten. Die Gespräche waren intensiv und persönlich. Plötzlich fiel uns auf, dass wir offensichtlich die Seiten vertauscht hatten: die Katholischen vertraten die evangelische Position und die Evangelischen die katholische – und das nicht als Spiel oder Experiment, sondern weil uns die Sache der Anderen inzwischen so wichtig geworden war. Die eigene Lehre fanatisch zu verteidigen, hatten wir nicht nötig! Auch zwischen vielen Mitgliedern der beiden Gemeinden entstand im Laufe der Zeit eine ähnliche Vertrautheit.

 

Verantwortlich für die Planungen und die Zusammenarbeit waren zunächst Reinhard Berchem, Pfarrer der evangelischen Gemeinde, und Hans Meixner, Pfarrer der katholischen Gemeinde, dazu natürlich das Presbyterium, der Kirchenvorstand und der Pfarrgemeinderat.

Schon ganz zu Anfang scheint entschieden worden zu sein, sich mit den kirchlichen Planungen eng an die Vorgaben der Stadtplanung anzulehnen. Die Gliederung der neuen Stadt in einzelne Stadtviertel, die sich um das Stadtzentrum herumgruppierten, sollte auch für die Seelsorge übernommen werden. Dementsprechend sollte die Kirche auch in den Stadtvierteln präsent sein. Da das Sandheider Subzentrum sehr früh geplant und gebaut wurde, entstand dort für jede der beiden Gemeinden ein kirchliches Zentrum. Für die anderen Stadtviertel war dann aber eine schachbrettartige Verteilung vorgesehen. Jede Gemeinde sollte nur in jedem zweiten Viertel bauen und ihre Räume dann der anderen Gemeinde zur Mitbenutzung überlassen. So war später die evangelische Gemeinde vertreten in Sandheide, im alten Hochahl, in Millrath und in Willbeck (das Gebäude wurde später wieder verkauft) – und die katholische Gemeinde in Sandheide, in Trills und in Millrath-Ost. Die Nutzung durch die jeweils andere Gemeinde war später nicht so intensiv, wie man sich das am Anfang vorgestellt hatte, obwohl die Bereitschaft zum Überlassen von Räumen immer groß war. Aber in der praktischen Arbeit entwickelten die eigenen Räume doch offensichtlich eine stärkere Anziehung.

 

Der Reformationstag 1969 war für die Ökumene und auch für die Zukunft der katholischen Gemeinde ein wichtiges Datum. Man hatte ihn gemeinsam begangen und im Gespräch hinterher beschloss man die Einrichtung des Ökumenischen Bildungswerks. Hans Meixner hatte schon vorher mit einem Bildungswerk begonnen, aber nur im Rahmen der katholischen Gemeinde. Für die Zukunft wurde das Ökumenische Bildungswerk zu einem wichtigen Instrument für den Lernprozess der beiden Gemeinden. Bis heute gibt es jedes Jahr ein Programm mit kirchlichen und gesellschaftlichen Themen, vorbereitet und organisiert von einer Gruppe von vier oder fünf Leuten aus beiden Gemeinden, die natürlich im Laufe der Jahrzehnte gewechselt haben. Vielleicht noch wichtiger war an diesem Reformationstag, dass die evangelische Gemeinde sich bereit erklärte, das Paul-Schneider-Haus in Millrath für einen katholischen Gottesdienst am Sonntagmorgen zur Verfügung zu stellen. Im Westen der neuen Stadt hatte die katholische Gemeinde die alte Kirche in Trills für ihre Gottesdienste. Und im Süden, in Sandheide, stand der Baubeginn unmittelbar bevor, aber der ganze Osten war zu der Zeit noch ohne ein kirchliches Gebäude für die katholischen Gläubigen. Es gab lediglich in Millrath eine Möglichkeit für einen Gottesdienst werktags in einem Raum der Familie Weber an der Bergstraße. Und die Messe sonntags um 11,15 Uhr im Paul-Schneider-Haus war von Anfang an und bis zum Jahr 2010 sehr gut besucht. 

 

In Millrath-Ost wollte die katholische Gemeinde ein Pfarrzentrum mit Kirche, Versammlungsräumen und einem Kindergarten bauen. 1971 oder 1972 begann die unmittelbare Bauplanung. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an ein erstes Gespräch mit dem Architekten, bei dem er unsere Vorstellungen zu ergründen und erste Vorschläge für eine räumliche Gliederung zu entwickeln versuchte. Um die Möglichkeiten sichtbar zu machen, nahm er Legosteine zu Hilfe. Das hat mich denn doch fasziniert und überrascht. Und das prägte sich ein! In dieser Phase tauchte dann das Paul-Schneider-Haus in unseren Überlegungen wieder auf. Wenn wir den Gottesdienst dort auf  Dauer beibehalten könnten, brauchten wir in Millrath-Ost überhaupt keine Kirche zu bauen, weil das Paul-Schneider-Haus fußläufig in wenigen Minuten erreichbar war; man brauchte nur ein kleines Bachtal zu überqueren. Und die Idee setzte sich durch! Wir trafen die Entscheidung: wir verzichten in Millrath-Ost auf den Bau einer Kirche und bleiben auf Dauer mit unserem Sonntagsgottesdienst im Paul-Schneider-Haus. Natürlich war das kein einsamer Beschluss einiger kleiner Seelsorger vor Ort. Was in Hochdahl gebaut werden sollte, wurde selbstverständlich dauernd mit der Bauabteilung im Generalvikariat in Köln überlegt und abgestimmt. Und bekanntlich sind Beschlüsse eines Kirchenvorstands ohne die Genehmigung von Köln überhaupt nicht rechtskräftig. Soweit ich mich erinnere, stieß diese Veränderung der Baupläne für Millrath-Ost  im Generalvikariat auf eindeutige Zustimmung. Vielleicht war allen Beteiligten klar, wie sinnvoll diese Lösung war. Nicht das schlechteste Argument war, dass man dadurch eine Menge Geld sparte. Wie wir erwartet hatten, brachten die Verhandlungen mit der evangelischen Gemeinde keine Probleme. Beide Gemeinden banden sich auf Dauer an diese Lösung. Die Einzelheiten wurden in einem Mietvertrag geregelt.

 

Im Jahre 2010 glaubte Kardinal Meisner, an diese Entscheidung der Vergangenheit nicht mehr gebunden zu sein. Er erließ das Verbot, weiterhin im Paul-Schneider-Haus die Messe zu feiern. Als Begründung führte er an, das Paul-Schneider-Haus sei kein geweihter Raum und unsere Praxis sei das Ergebnis einer Ausnahmegenehmigung gewesen, da das kirchliche Recht die regelmäßige Feier der Messe in einem profanen Raum nicht gestatte. Sicher haben wir damals keine Ausnahmegenehmigung erbeten und auch nicht erhalten. Was wir da am Anfang überlegt, entschieden und vereinbart haben, vollzog sich eindeutig in klarem Einvernehmen mit den zuständigen Abteilungen im Generalvikariat. Es wäre doch im Jahr 2010 ein Leichtes gewesen, das durch einen Blick in die alten Akten (im Generalvikariat oder im Pfarrbüro) zweifelsfrei zu klären. Natürlich war das Paul-Schneider-Haus nicht mit katholischer Weihe versehen. Aber in den vielen Jahren, in denen ich dort zelebriert habe, hatte ich nie den Eindruck, dass dieser Raum als bloß „profan“ zu qualifizieren sei. Und die Atmosphäre beim Gottesdienst stimmte fast immer. – In der Planung für die notwendigen Räume in der neuen Stadt spielte das Paul-Schneider-Haus eine wichtige Rolle. Das wird dem aufmerksamen Leser sicher nicht entgangen sein. Und die Nutzung des Paul-Schneider-Hauses war eine gute und damals befreiende Lösung, damit auch im Osten des Neubaugebietes den Menschen ein regelmäßiger Sonntagsgottesdienst angeboten werden konnte. – Viele Menschen sind durch das Verbot schwer verletzt worden. „Man hat uns die Heimat genommen“, sagte ein mir bekannter Mann, als er mir – noch ganz aufgelöst – eröffnete, er sei am Morgen beim Amtsgericht gewesen und aus der Kirche ausgetreten. - - -

 

Eine ähnliche Gastfreundschaft wie beim Paul-Schneider-Haus zeigte die evangelische Gemeinde auch bei der Neanderkirche in Alt-Hochdahl. „Da oben“ lebten viele ältere Leute. Die Katholiken mussten, wenn sie am Gottesdienst teilnehmen wollten, den Berg runtergehen zur Kirche in Trills. Der Hinweg war dabei weniger das Problem, aber zurück machte der „Trillser Berg“ doch einige Mühe. 1973 ermöglichte uns die evangelische Gemeinde, eine Vorabendmesse um 18 Uhr in der Neanderkirche zu halten. Das wurde zunächst für einige Zeit probeweise eingeführt. Und wie beim Paul-Schneider-Haus wurde diese Messe dann eine Einrichtung auf Dauer. Auch dieser Gottesdienst wurde schon vor dem Paul-Schneider-Haus vom damaligen Pfarrer abgeschafft. Die Begründung lautete, die Zahl der Gottesdienste müsse reduziert werden mit Rücksicht auf die Zahl der Priester; bis dahin gab es nämlich seit mehr als dreißig Jahren in Hochdahl sieben Gottesdienste am Wochenende. Ob unterschwellig auch andere Gründe bei dieser Entscheidung mitgespielt haben, ist natürlich nicht zu klären.

 

Zurück