1. Im Dienst an der Gemeinde

Es war eine eigenartige Geschichte, die sich nach der Firmung im Jahr 2005 in Hochdahl abspielte. Vorher hatten wir etwas Sorge. Der neue Weihbischof sollte die Firmung spenden und es war uns nicht klar, was wir zu erwarten hatten. Die Unsicherheit entstand aus den Erzählungen, Kardinal Meisner würde zur Firmung vor dem Altar Platz nehmen und die Firmlinge müssten sich vor ihm hinknien. Das schien uns für unsere jungen Erwachsenen, die durchweg 17 bis 18 Jahre alt waren, eine unangemessene Form zu sein. Ein Gespräch mit dem Weihbischof zerstreute allerdings diese Ängste.

 

Nach der Firmung war der Weihbischof schon in den Pfarrsaal hinaufgegangen, wo wir üblicherweise nach dem Gottesdienst noch etwas zusammenblieben. Ich war noch in der Sakristei und auch der Sekretär des Bischofs war noch da und eröffnete mir, dass der Bischof nicht lange bleiben könne, da er noch einen Hausbesuch machen müsste. Wie das Gespräch dann lief, weiß ich nicht mehr – bis zu der recht lauten Stellungnahme des Sekretärs: „Nicht Gemeinde – Kirche, Kirche!“ Und dieser Ausspruch kam mit einer derartigen Emotionalität, dass ich nur verwundert und verständnislos dagestanden bin. Natürlich habe ich gespürt, dass sich diese Attacke gegen unsere Arbeit und unsere Vorstellungen in Hochdahl richtete.  

 

Nicht „Gemeinde“? Als wir in Hochdahl anfingen (1968/70), hatten wir keinen Zweifel daran, dass es um „Gemeinde“ ging. Die eigenartigen Konstrukte von Event-Seelsorge oder Großpfarrei mit 20.000 und mehr Mitgliedern waren noch nicht erfunden. Und wenn heute jemand meint oder sagt, die Kirche sei ein Dienstleistungsunternehmen, dann fällt mir immer wieder ein, wie sehr wir uns gegen das Bild von der Service-Station gewehrt haben.

 

Die Aufgabenstellung war klar und wir sind mit Schwung, Idealismus und viel Freude an die Arbeit gegangen. Wir konnten uns stützen auf eine – wie mir scheint – sehr solide theologische Ausbildung. Wir hatten im Sommer 1960 Ratzingers Vorlesung über die Kirche gehört, die uns begeistert und geprägt hat. Und von der Kirchengeschichte bis zum Neuen Testament hatten wir in Bonn sehr gute Professoren. Und während wir in Köln im Seminar waren, begann das Konzil und mit innerer Anteilnahme hörten wir die Botschaft Johannes’ XXIII. an die Deutschen. Und dann die Erneuerung der Liturgie, in langen Jahre vorbereitet, als Konzilsdokument verabschiedet – sie eröffnete einen ganz neuen, lebendigen Zugang zum Gottesdienst. Und die Vorstellung von Kirche als Gemeinschaft und Volk Gottes lag so sehr in der Luft, dass man nur tief einatmen musste, um diese beglückende Wahrheit über unser Zusammenleben als Glaubende in sich aufzunehmen.

 

Aus der Ratzinger-Vorlesung stammte vermutlich die zentrale Bedeutung, die Taufe und Eucharistie in unserem Kirchen- und Gemeindebild hatten. Die Taufe ist der alles entscheidende Vorgang, in dem der Mensch in die Gemeinschaft der Jünger Jesu aufgenommen wird. Er empfängt neues Leben, eine ganz neue Existenzform. Ich erinnere mich, wie sehr mich in der Vorlesung von Michael Schmaus – Dogmatiker in München – diese Vorstellung von „neuem Leben“ beschäftigt hat. Und nach der Taufe kann keiner mehr als „Privatmann“ leben, immer lebt er in der Gemeinschaft des Geistes Gottes. Diese Vorstellung ist so tiefgehend und anspruchsvoll, dass man immer wieder versucht ist zu fliehen – in die Alltäglichkeit oder in weniger verbindliche Umstände. Ein Getaufter gehört nicht mehr sich selbst und er gehört nie einem anderen Menschen bedingungslos. „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (vgl. 1 Kor 6,19)  In einer Zeit, als mehr oder weniger alle Bewohner einer Gegend getauft waren – normalerweise sogar als Säuglinge – konnte die Taufe natürlich nicht als eine solche Veränderung der eigenen Existenz erfahren werden. Man erinnerte sich ja auch nicht daran. Da konnte es geschehen, dass man es als eine Bekehrung zu Jesus Christus interpretierte, wenn jemand Priester oder Nonne oder Mönch wurde. Getauft waren alle, in den „Stand der Vollkommenheit“ (!) kamen nur wenige. Viele in der älteren Generation werden noch mit solchen Vorstellungen groß geworden und vielleicht auch Priester geworden sein. Für seinen Glauben und den Herrgott etwas Besonderes tun! Und es gab ja sogar eine Theorie von zwei verschiedenen Verbindlichkeiten der Botschaft Jesu: die normalen Christen konnten das alles ja nicht so genau nehmen; die aus dem Evangelium abgeleiteten, so genannten „evangelischen Räte“ waren der Weg für die, die es ernster meinten! Ich glaube nicht, dass sich diese Theorie auf die Verkündigung Jesu berufen kann. Zudem nimmt sie dem Streben nach Vollkommenheit die Dynamik. Ist man nämlich in der richtigen Gruppe angekommen, hat man das Ziel schon erreicht!

 

Nun ist diese Zeit der Volkskirche ja bei uns offensichtlich endgültig vorbei. Und das war auch schon vor 40 Jahren so. Warum hängt man immer noch an den alten Vorstellungen, statt damit ernst zu machen, dass die Gemeinde, dass die Gemeinschaft aller Getauften für die Zukunft der Kirche steht? Das wäre eine Bekehrung, die ihre Kraft aus der Botschaft Jesu beziehen könnte!  

 

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